In den letzten beiden Jahren haben die Notenbanken in den USA und in Europa die Zinsen schnell und stark erhöht. Das trug dazu bei, die gestiegenen Inflationserwartungen wieder einzufangen. Doch wie geht es nun weiter?

Pro

Der Kampf gegen die Inflation muss so lange geführt werden, bis diese Gefahr dauerhaft beseitigt ist. Darauf hat US-Notenbankpräsident Jerome Powell die Märkte im Jahr 2022 eingeschworen. Schon im vergangenen Jahr dachten einige Marktteilnehmer, dass das Ziel bereits erreicht wäre, nachdem die Inflationsraten deutlich gefallen waren. Deshalb wurden für Ende 2023 bereits erste Zinssenkungen erwartet. Doch dazu kam es nicht. Also wurden die Erwartungen für Zinssenkungen fast jeden Monat weiter in die Zukunft verschoben.

Genauso dürfte es auch in diesem Jahr weitergehen. Vor kurzem rechnete man noch für Januar mit der ersten Zinssenkung. Inzwischen ist dies in den März gerutscht. Tatsächlich dürften Zinssenkungen aber noch viel weiter auf die lange Bank geschoben werden. Zwar liegen die Spitzenwerte der Preissteigerungen längst hinter uns, aber die wichtige Kernrate betrug auch zuletzt noch 3,9 Prozent. Das ist immer noch ungefähr doppelt so hoch, wie es die Notenbanken gerne hätten. Die Arbeit ist also noch nicht erledigt. Man wird die Zinsen für längere Zeit auf hohem Niveau belassen müssen, um das erklärte Ziel von zwei Prozent oder weniger Inflation zu erreichen. Und das kann dauern. Denn die Preissteigerungen sind bereits im Alltag der Menschen verankert, wie etwa die Preise im Supermarkt zeigen.

Zum anderen gibt es immer wieder Forderungen für Lohnerhöhungen, die eine neue Runde von Preissteigerungen befeuern könnten. Auch die Angst der Notenbanken besteht darin, dass die Inflation ein zweites Mal aufflammt. Während der Inflation der frühen 1970er Jahre trugen vorzeitige Zinssenkungen dazu bei, dass später eine zweite, stärkere Welle von Preissteigerungen hereinbrach. Deshalb dürfte man diesmal lange restriktiv bleiben, um den überhöhten Preissteigerungen endgültig den Garaus zu machen.

Da sich der Arbeitsmarkt nach wie vor robust zeigt, scheint das Risiko dieses Vorgehens für Konsum und Wirtschaft begrenzt. Zudem steht die Glaubwürdigkeit der Notenbanken auf dem Spiel. Diese wurde in den vergangenen Jahren zwar beschädigt, aber könnte nun durch hartes Durchgreifen zurückerlangt werden. Viele Marktteilnehmer dürften das noch nicht erkannt haben. Sie sind auf immer neue Wellen lockerer Geldpolitik konditioniert. Doch diese Zeit ist vorbei. Deshalb dürfte sich auch die Fantasie für Zinssenkungen als Trugschluss herausstellen.

Kontra

Wenn es nach den Markterwartungen geht, ist die US-Notenbank nicht nur fertig mit den Zinserhöhungen, sondern wird im März mit Zinssenkungen beginnen. Aber nicht nur das. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Zinsen später weiter schrittweise gesenkt werden. Ende des Jahres könnte der US-Leitzins dann bei nur noch 4 Prozent oder tiefer stehen. Zwar sind derartige Szenarien unsicher.

Trotzdem: Die Wahrscheinlichkeit dafür lag zuletzt laut Fed-Watch-Tool der US-Börse CME bei mehr als 85 Prozent. Auch die EZB rechnet damit, die Zinsen im Jahr 2024 zu senken. Für solche Schritte sprechen vor allem die gefallenen Inflationsraten. Zuletzt lag der offizielle Wert in den USA nur noch bei 3,3 Prozent. Zudem fielen die US-Inflationserwartungen im Dezember auf den tiefsten Stand seit 3 Jahren. Auf Sicht eines Jahres rechnet man mit Preissteigerungen von 3 Prozent, auf Sicht von 5 Jahren mit 2,5 Prozent. In Europa wurde im 4. Quartal 2023 auf Sicht eines Jahres eine Inflationsrate von 2,5 und auf Sicht von 5 Jahren von 2,1 Prozent erwartet. Das ist sehr nah am Zielwert von 2 Prozent.

Worauf also noch warten? Die aktuell relativ hohen Zinsen mögen gut für Anleger sein, aber können zum Bremsklotz für die Wirtschaft werden. Schließlich müssen immer mehr Unternehmen ihre fälligen Kredite teuer refinanzieren oder Investitionen streichen. Auch die Gefahr von Verwerfungen, wie sie im Frühjahr 2023 im Banksektor auftraten, sind nicht gebannt. Künftig könnten diese und andere „Unfälle“ weitreichende Folgen für die Wirtschaft haben. Im Falle einer Krise sind dann schnellere und stärkere Zinssenkungen denkbar, als vielen lieb ist. Das Ausufern der globalen Finanzkrise im Herbst 2008, als man die Zinsen im Eiltempo auf nahe null senken musste, war das beste Beispiel.

Doch es muss nicht erst so schlimm kommen. Schon bei einer normalen Rezession, die früher oder später ohnehin eintritt, wäre mit Zinssenkungen zu rechnen. Denn historisch betrachtet ist ein längeres Plateau relativ hoher Zinsen ungewöhnlich. Bloomberg zufolge hielt die Fed am Ende ihrer Erhöhungszyklen nur relativ kurz an den Spitzenwerten fest. Ein Jahr später hatte man demnach schon wieder deutlich gelockert. Fraglich ist nur, ob sich diejenigen, die heute auf Zinssenkungen hoffen, darüber freuen könnten. Denn in Rezessionen fallen die mittleren Gewinnerwartungen der Unternehmen und damit auch viele Aktienkurse.

Dauerhaftes Plateau

Dargestellt sind die Leitzinsen von Fed und EZB von Januar 2002 bis Januar 2024. Seit Spätsommer 2023 befinden wir uns auf einem gleichbleibend hohen Niveau von 5,5 bzw. 4,5 Prozent. Wie lange wird es dabei bleiben?

Dargestellt sind die Leitzinsen von Fed und EZB von Januar 2002 bis Januar 2024. Seit Spätsommer 2023 befinden wir uns auf einem gleichbleibend hohen Niveau von 5,5 bzw. 4,5 Prozent. Wie lange wird es dabei bleiben?

Quellen: https://fred.stlouisfed.org, https://www.ecb.europa.eu