▶️ Legale Strategien – Lässt sich der Pflichtteil umgehen? - HAC VermögensManagement AG

▶️ Legale Strategien – Lässt sich der Pflichtteil umgehen?

Inhaltsverzeichnis

Das Pflichtteilsrecht ist ein fester Bestandteil des deutschen Erbrechts. Es sorgt dafür, dass bestimmte Familienangehörige – insbesondere Kinder, Ehepartner und Eltern – auch dann noch einen Anteil am Nachlass erhalten, wenn sie in einem Testament übergangen wurden. Für viele ist dieser Anspruch ein wichtiger Schutz. Für andere kann er zur Hürde werden – vor allem, wenn größere Vermögen oder unternehmerische Strukturen erhalten bleiben sollen.

In der Praxis stellt sich deshalb häufig die Frage, ob und wie sich der Pflichtteil umgehen lässt. Die Antwort darauf ist differenziert: Eine vollständige Vermeidung ist selten möglich – aber es gibt zahlreiche rechtlich zulässige Wege, wie sich Pflichtteilsansprüche reduzieren, gestalten oder in geordneten Bahnen halten lassen.

Dazu gehören unter anderem:

  • der Pflichtteilsverzicht durch vertragliche Vereinbarung,
  • Schenkungen zu Lebzeiten unter Beachtung der 10-Jahresregel,
  • die Gestaltung von Nießbrauchsrechten, Vermächtnissen oder Teilungsanordnungen,
  • sowie die strategische Nutzung von Testamentsklauseln oder der Wohnsitzverlagerung ins Ausland (sog. „Forum Shopping“).

Die gesetzlich gesteckten Grenzen des Pflichtteilsrechts lassen Spielraum für Planung – allerdings nur dann, wenn man diese rechtzeitig kennt und klug nutzt.

📌 Hinweis: Diese Information dient der allgemeinen Orientierung und stellt keine Rechts- oder Steuerberatung dar. Für konkrete Fragen empfiehlt sich die Konsultation eines Notar:in, Fachanwalts oder Fachanwältin bzw. Spezialist:innen der steuerberatenden Berufe.

Was ist der Pflichtteil – und wo liegen seine Grenzen?

Das deutsche Erbrecht räumt nahen Angehörigen einen besonderen Schutz ein. Wer zu den sogenannten pflichtteilsberechtigten Personen gehört, hat selbst dann Anspruch auf einen Teil des Nachlasses, wenn er im Testament ausdrücklich nicht bedacht wurde. Dieser Anspruch – der Pflichtteil – ist gesetzlich geregelt und lässt sich nur in Ausnahmefällen vollständig ausschließen.

Der Pflichtteil beträgt grundsätzlich die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und muss in Geld ausgezahlt werden. Er basiert auf dem Gedanken, dass enge familiäre Bindungen auch im Erbfall nicht vollständig ignoriert werden dürfen. Zu den geschützten Personengruppen zählen insbesondere Kinder, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner sowie in bestimmten Fällen auch Eltern des Erblassers.

Doch so klar der Anspruch auch formuliert ist – das Pflichtteilsrecht kennt Grenzen. Es schützt nicht vor Enterbung, sondern gewährt lediglich einen Mindestanteil. Und genau hier beginnt der Spielraum für Gestaltung.


Gesetzliche Struktur – und ihre Schwachstellen

Das Pflichtteilsrecht greift nur unter bestimmten Voraussetzungen:

  • Nur bestimmte Angehörige sind pflichtteilsberechtigt – z. B. keine Geschwister oder Stiefkinder ohne Adoption.
  • Der Anspruch ist ein reines Geldrecht – keine Sachwerte, keine Beteiligung an der Erbengemeinschaft.
  • Es muss aktiv geltend gemacht werden – eine automatische Auszahlung erfolgt nicht.
  • Der Pflichtteil kann in Teilen durch frühere Schenkungen ergänzt werden, allerdings nur, wenn sie in den letzten zehn Jahren erfolgt sind.

In diesen Rahmenbedingungen liegen auch die Angriffspunkte für strategische Gestaltung. Wer seinen Nachlass strukturiert plant, kann den Umfang des pflichtteilsrelevanten Vermögens gezielt reduzieren oder umwandeln – durch Übertragungen, Verträge oder bewusste Testamentsgestaltung.


Ausschluss nur in engen Ausnahmefällen möglich

Ein vollständiger Ausschluss vom Pflichtteil – etwa durch eine sogenannte Entziehung – ist nur unter sehr engen gesetzlichen Voraussetzungen möglich. Dazu zählen etwa schwere Verfehlungen wie Bedrohung, körperliche Gewalt oder massive Pflichtverletzungen gegenüber dem Erblasser. Die Hürden hierfür sind hoch, die gerichtliche Anerkennung selten.

Die regelmäßige Gestaltungspraxis konzentriert sich daher nicht auf den Ausschluss, sondern auf das Umgehen oder Abfedern des Anspruchs – etwa durch:

  • Verzichtsvereinbarungen
  • Schenkungen mit gezielter Wirkung auf die Pflichtteilsergänzung
  • Gestaltungen über Eheverträge oder Erbverträge

Die folgenden Abschnitte zeigen Schritt für Schritt, welche dieser Strategien rechtlich zulässig sind, wann sie sinnvoll eingesetzt werden können – und worauf dabei besonders geachtet werden sollte, um spätere Konflikte zu vermeiden.

Strategie 1: Pflichtteilsverzicht – klar geregelt, aber nicht ohne Risiko

Der Pflichtteilsverzicht gilt als die eindeutigste Möglichkeit, einen Pflichtteilsanspruch schon zu Lebzeiten auszuschließen. Dabei handelt es sich nicht um eine trickreiche Gestaltung, sondern um einen rechtlich zulässigen Vertrag zwischen dem potenziellen Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten – meist einem Kind, Ehepartner oder Elternteil.

Er ermöglicht es, familieninterne Vereinbarungen festzuhalten, Vermögen gezielt zu schützen oder bereits erhaltene Zuwendungen rechtlich anzurechnen.
Doch so klar dieser Weg auf dem Papier wirkt, so komplex kann er in der Praxis werden. Denn: Wer verzichtet, hat verzichtet. Auch dann, wenn sich das familiäre Klima nach Jahren verändert.


Rechtsgrundlage und Wirkung

Der Pflichtteilsverzicht ist in § 2346 BGB geregelt. Er muss notariell beurkundet werden und kann sich auf den Pflichtteil oder auf das gesamte Erbrecht beziehen. In der Regel erfolgt der Verzicht gegen eine Abfindung oder Zuwendung – es ist jedoch auch möglich, ohne Gegenleistung zu verzichten, etwa aus Vertrauen oder familiärer Harmonie heraus.


Beispiel: Harmonie heute – Unsicherheit morgen?

Ein typisches Beispiel aus der Praxis:

Eltern möchten sich gegenseitig beerben und wünschen von den Kindern zu Lebzeiten einen Pflichtteilsverzicht. Oft wollen die Ehegatten sich gegenseitig absichern, ohne dass schon Gelder an die Kinder fließen. Nur zu oft besteht der Großteil des Vermögens aus dem gemeinsamen Haus. Sollte ein Kind oder sogar mehrere ihren Pflichtteil fordern, wäre der überlebende Elternteil oft gezwungen,  das Haus zu verkaufen. Da weder Eltern noch die meisten Kinder das so wollen, herrscht Einigkeit und Vertrauen – niemand möchte später Ansprüche stellen.

Doch dann stirbt ein Elternteil. Der überlebende Partner beginnt eine neue Beziehung, vielleicht sogar eine Ehe. Dies ist oft ein Grund warum, sich das Verhältnis zu den Kindern verändert kann. Es kommt zu Spannungen.
In der Folge können der neue Partner oder auch das Elternteil auf die Idee kommen, nun doch noch mal alles neu regeln zu wollen, so dass das Testament geändert wird – zugunsten des neuen Partners.

Die Kinder, die einst im Vertrauen auf den Familienfrieden verzichtet haben, verlieren endgültig jede Möglichkeit, ihren Pflichtteil durchzusetzen.

Selbst wenn sie vollständig enterbt werden, bleibt ihnen rechtlich kein Anspruch mehr auf Beteiligung. Ob dass das verstorbene Elternteil so gewollt hat, mitnichten. Oft ist es dann aber so wie es ist.  


Worauf sollte besonders geachtet werden?

Ein Pflichtteilsverzicht ist bindend, dauerhaft und ohne spätere Rückholoptionen. Deshalb ist eine ehrliche, vorausschauende Einschätzung der Familiendynamik entscheidend. Der Verzicht mag heute richtig erscheinen – kann aber Jahre später zur Benachteiligung führen, wenn sich Beziehungen verändern.

Ein solcher Schritt sollte deshalb immer gemeinsam mit einem Notar besprochen werden – und nicht nur juristisch, sondern auch zwischenmenschlich und emotional durchdacht sein.

➡️ Wer verzichtet, gibt einen Anspruch auf – aber nicht ohne Risiko. Welche Rechte Pflichtteilsberechtigte haben, lesen Sie hier.


Zusammenfassung
  • Der Pflichtteilsverzicht ist rechtlich wirksam und planungssicher,
  • Er eignet sich besonders bei Betriebsnachfolgen, Immobilientransfers oder Ausgleichszahlungen,
  • Aber: Er ist unwiderruflich und kann bei späteren Veränderungen zu emotionaler oder finanzieller Überforderung führen.

Strategie 2: Schenkungen zu Lebzeiten – mit langfristiger Wirkung, aber nicht ohne Grenzen

Die Schenkung zu Lebzeiten zählt zu den meistgenutzten Instrumenten in der Nachlassgestaltung. Sie ermöglicht, Vermögenswerte frühzeitig zu übertragen, steuerliche Freibeträge zu nutzen und den Nachlass zu reduzieren. Damit verbunden ist oft das Ziel, Pflichtteilsansprüche im Erbfall zu minimieren oder wirtschaftlich unattraktiv zu machen.

Das Gesetz schiebt dieser Praxis jedoch gezielt einen Riegel vor: Über § 2325 BGB greift der sogenannte Pflichtteilsergänzungsanspruch. Er verhindert, dass der Erblasser durch Schenkungen den Nachlass weitgehend entzieht und damit pflichtteilsberechtigte Personen leer ausgehen. Dieser Ergänzungsanspruch sichert enterbten Angehörigen einen anteiligen Anspruch auf vor dem Erbfall verschenkte Vermögenswerte – wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Pflichtteilsergänzungsanspruch und 10-Jahresfrist

Für Schenkungen an Dritte gilt: Sie werden in die Pflichtteilsberechnung einbezogen, wenn sie in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten. Die Anrechnung erfolgt nicht in voller Höhe, sondern jährlich abgeschmolzen: Nach einem Jahr zu 90 %, nach zwei Jahren zu 80 % – bis zur vollständigen Herausnahme nach zehn Jahren.

Diese 10-Jahresfrist ist jedoch nicht immer wirksam. Entscheidend ist, ob der Erblasser sich wirtschaftlich tatsächlich vom Vermögen getrennt hat. Wenn er sich z. B. ein Nießbrauchrecht oder Wohnrecht vorbehalten hat, beginnt die Frist in vielen Fällen erst mit dem Verzicht auf diese Rechte – oder gar nicht.

Besonderheit bei Ehegatten: Die Frist beginnt nicht mit der Schenkung

Eine rechtlich besonders bedeutsame Ausnahme betrifft Schenkungen zwischen Ehepartnern. Hier beginnt die Zehnjahresfrist nicht mit der Schenkung, sondern erst mit dem Ende der Ehe. In den meisten Fällen bedeutet das: erst mit dem Tod eines Ehepartners.

Das hat weitreichende Folgen: Selbst wenn Vermögen bereits vor Jahrzehnten an den Ehepartner übertragen wurde, wird es beim Tod des Erblassers vollständig in die Pflichtteilsberechnung einbezogen, sofern die Ehe bis dahin fortbestand.

Praxisbeispiel

Ein Ehemann überträgt 20 Jahre vor seinem Tod ein vermietetes Mehrfamilienhaus auf seine Ehefrau. Als er verstirbt, besteht nur noch geringes liquides Vermögen. Die Kinder, die im Testament nicht berücksichtigt wurden, machen ihren Pflichtteil geltend. Der vollständige Wert des Hauses fließt in den Pflichtteilsergänzungsanspruch ein – obwohl es seit zwei Jahrzehnten nicht mehr zum Nachlass gehörte.

Grund dafür: Die Schenkung erfolgte zwischen Ehegatten – die Ehe wurde erst mit dem Tod aufgelöst – die Frist begann damit nicht zu laufen.

Gestaltung über den Güterstandswechsel

In bestimmten Fällen kann ein Wechsel des Güterstands eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung sein. Etwa durch einen notariellen Vertrag, mit dem die Zugewinngemeinschaft in Gütertrennung oder einen modifizierten Zugewinnausgleich umgewandelt wird.

Wirtschaftlich wirkt dies wie eine „Auflösung“ der ehelichen Vermögensgemeinschaft – ohne dass die Ehe selbst beendet wird. So kann Vermögen rechtssicher vom einen auf den anderen Ehepartner übertragen werden, ohne dass Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgelöst werden.

Ein solcher Güterstandswechsel kann insbesondere dann interessant sein, wenn erhebliche Vermögensunterschiede zwischen den Ehegatten bestehen. Übertragenes Vermögen gilt dann nicht als Schenkung im Sinne des Pflichtteilsrechts, sondern als Ausgleichsanspruch – und bleibt bei der Pflichtteilsergänzung außen vor.

Bewertung

Schenkungen zu Lebzeiten sind ein wirkungsvolles Instrument, um Vermögen strukturiert zu übertragen und die Pflichtteilsquote zu beeinflussen. Sie ersetzen aber keine vorausschauende Planung. Besonders bei Ehegatten müssen Schenkungen langfristig betrachtet und ggf. mit flankierenden Maßnahmen wie Nießbrauchregelungen oder einem Güterstandswechsel kombiniert werden.

Die Vorstellung, den Pflichtteil durch Schenkung „wegzuplanen“, greift zu kurz. Stattdessen gilt: Nur wer die rechtlichen Fristen, Ausnahmen und steuerlichen Folgen im Blick behält, kann mit lebzeitigen Zuwendungen verbindlich und ausgewogen gestalten.

Strategie 3: Vermächtnisse, Teilungsanordnungen und Auflagen – gestalten statt ausschließen

Nicht in jedem Fall muss ein Pflichtteilsberechtigter vollständig enterbt werden, um die Nachlassverteilung gezielt zu steuern. In vielen Konstellationen lassen sich Pflichtteilsansprüche auch durch geschickte testamentarische Gestaltung beeinflussen – etwa durch Vermächtnisse, Teilungsanordnungen oder Auflagen.

Diese Instrumente eröffnen die Möglichkeit, den Pflichtteilsberechtigten nicht direkt zu enterben, sondern gezielt zu berücksichtigen – auf eine Weise, die wirtschaftlich sinnvoll, rechtlich wirksam und emotional ausgleichend wirken kann.

Das Vermächtnis – gezielt zuweisen, ohne in die Erbfolge einzubeziehen

Ein Vermächtnis ermöglicht es, bestimmten Personen einzelne Gegenstände oder Vermögenswerte aus dem Nachlass zuzuweisen – ohne sie zu Erben zu machen. Es handelt sich um einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Erben. Gerade im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen kann ein Vermächtnis taktisch sinnvoll sein:

  • Ein Vermächtnis kann als „Alternative“ zum Pflichtteil wirken, wenn es wirtschaftlich gleichwertig oder attraktiver ist.
  • Ist der Pflichtteilsberechtigte mit dem Vermächtnis zufrieden, wird der Pflichtteil möglicherweise gar nicht geltend gemacht.
  • Das mindert Streitpotenzial und kann zugleich steuerlich günstiger gestaltet werden.

Beispiel: Anstelle eines Pflichtteils in bar erhält das enterbte Kind ein vermietetes Grundstück als Vermächtnis – mit langfristiger Wertsteigerung, aber ohne Liquiditätsbelastung für die Erbengemeinschaft.

Teilungsanordnung – lenken, wie das Erbe verteilt wird

Über eine sogenannte Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) kann der Erblasser festlegen, wie einzelne Nachlassgegenstände zwischen den Miterben aufzuteilen sind – unabhängig von der Erbquote.

Diese Methode bietet die Möglichkeit, innerhalb einer Erbengemeinschaft Ungleichgewichte zu steuern, ohne gegen das Pflichtteilsrecht zu verstoßen. Sie eignet sich besonders bei:

  • Immobilien im Nachlass,
  • Familienunternehmen,
  • oder wenn eines der Kinder bereits erhebliche Vorleistungen erhalten hat.

Eine Teilungsanordnung kann so gestaltet werden, dass der Pflichtteil indirekt wirtschaftlich beeinflusst wird, ohne dass eine Enterbung erfolgt.

Auflagen – Bedingungen setzen, Verantwortung übertragen

Testamentarische Auflagen (§ 1940 BGB) sind Anordnungen des Erblassers, nach denen bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen. Diese können auch gegenüber Pflichtteilsberechtigten greifen, soweit sie nicht gegen deren Grundanspruch verstoßen.

Auflagen eignen sich z. B. für:

  • Pflegeleistungen,
  • die Erhaltung eines Familienbetriebs,
  • oder den langfristigen Erhalt von Immobilien.

Sie wirken nicht pflichtteilsverhindernd, können aber als Gestaltungselement dazu beitragen, emotionale Ausgewogenheit und materielle Absicherung in Einklang zu bringen.

Bewertung

Vermächtnisse, Teilungsanordnungen und Auflagen bieten keine Möglichkeit, den Pflichtteil im rechtlichen Sinne zu umgehen. Aber sie bieten ein strategisches Mittel, um Pflichtteilsansprüche weniger konfliktbeladen, liquider oder strukturell integrierbar zu machen.

In der Praxis kann eine gut geplante Kombination aus Vermächtnis und Teilungsanordnung sogar dazu führen, dass Pflichtteilsberechtigte auf eine Geltendmachung verzichten – weil der praktische Nutzen höher ist als der Rechtsanspruch.

Strategie 4: Pflichtteilsstrafklausel im Berliner Testament – Druck durch Entzug

Das sogenannte Berliner Testament ist eine weitverbreitete Testamentsform unter Ehepartnern. Dabei setzen sich die Ehegatten zunächst gegenseitig als alleinige Erben ein. Erst nach dem Tod des zuletzt Versterbenden sollen die Kinder erben.

Diese Regelung schützt den überlebenden Ehepartner – sie birgt jedoch ein Risiko: Enterbte Kinder, die im ersten Erbfall übergangen wurden, haben einen Pflichtteilsanspruch gegen den überlebenden Elternteil. Wird dieser Anspruch geltend gemacht, kann das die Liquidität gefährden, z. B. wenn Immobilien, Unternehmen oder gebundenes Kapital im Nachlass enthalten sind.

Hier kommt die Pflichtteilsstrafklausel ins Spiel – ein beliebtes Mittel, um diese Situation zu entschärfen.


Wirkweise der Strafklausel

Die Strafklausel droht dem Kind, das im ersten Erbfall den Pflichtteil einfordert, mit Enterbung im zweiten Erbfall. Der Grundgedanke:
Wer sich vorzeitig „bedient“, verliert das Anrecht auf das spätere Erbe.

Diese Regelung ist zwar keine rechtliche Verhinderung des Pflichtteils, kann aber abschreckende Wirkung entfalten – besonders dann, wenn der Nachlass in zwei Stufen sinnvoll aufgebaut ist.

Beispiel: Zwei Kinder sind als Schlusserben eingesetzt. Fordert eines davon nach dem Tod des ersten Elternteils den Pflichtteil ein, wird es im zweiten Erbfall vollständig enterbt – während das andere Kind alles erhält.


Ziel der Klausel: Zeit kaufen, Druck nehmen

Ziel ist es, den überlebenden Ehepartner zu schützen – etwa vor einem Verkauf der Immobilie oder einer Pflichtteilsforderung, die nur durch Kreditaufnahme erfüllbar wäre. Die Strafklausel signalisiert den Kindern:
Wer abwartet, wird belohnt. Wer drängt, verliert.

In der Praxis funktioniert diese Strategie vor allem in stabilen Familiensystemen – oder wenn klar ist, dass der zweite Nachlass erheblich umfangreicher ist als der erste.


Grenzen und Risiken
  • Die Klausel ist nicht rechtlich bindend im Sinne eines Verbots, sondern eine bedingte Enterbung im Testament.
  • Sie kann emotionale Konflikte verschärfen, wenn das familiäre Vertrauen fehlt.
  • Der überlebende Ehepartner kann das Testament ggf. noch ändern, insbesondere wenn es nicht gemeinschaftlich bindend errichtet wurde.
  • Die Kinder sind rechtlich frei, ihren Pflichtteil dennoch einzufordern – die Konsequenzen müssen allerdings einkalkuliert werden.

Bewertung

Die Pflichtteilsstrafklausel bietet keinen rechtlichen Ausschluss, aber einen psychologisch wirksamen Mechanismus, der Pflichtteilsforderungen im ersten Erbfall abwenden oder zumindest hinauszögern kann. Sie stärkt den überlebenden Ehepartner und hilft, den Nachlass als Ganzes zu erhalten – etwa bei Immobilien oder Betriebsvermögen.

Sie ersetzt keine individuelle Nachlassplanung, kann aber als Teil einer mehrstufigen Strategie sinnvoll eingebunden werden – vor allem in Verbindung mit Vermächtnissen, Güterstandsregelungen oder lebzeitigen Übertragungen.

Strategie 5: Forum Shopping – das Erbrecht durch Wohnsitzverlagerung beeinflussen

In bestimmten Fällen versuchen vermögende Privatpersonen oder Unternehmer, das deutsche Pflichtteilsrecht gezielt zu umgehen, indem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegen. Der dahinterstehende Gedanke:
Wenn deutsches Erbrecht Pflichtteile garantiert – warum nicht in ein Land wechseln, das solche Regelungen nicht kennt?

Diese Idee ist nicht neu, aber juristisch anspruchsvoll. In der Fachsprache wird sie als Forum Shopping bezeichnet: Die gezielte Wahl eines ausländischen Erbrechts durch Wohnsitzverlagerung, um die Rechtsfolgen des Todesfalls zu steuern.


EU-Erbrechtsverordnung: Das anwendbare Erbrecht folgt dem Wohnsitz

Die Grundlage dafür ist die EU-Erbrechtsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 650/2012). Sie besagt:
Für grenzüberschreitende Erbfälle innerhalb der EU gilt grundsätzlich das Erbrecht des Landes, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ hatte.

Daraus ergibt sich: Wer dauerhaft in ein Land ohne Pflichtteilsrecht zieht, kann unter Umständen bewirken, dass beim eigenen Tod nicht deutsches, sondern das dortige nationale Erbrecht zur Anwendung kommt – und damit kein Pflichtteil gezahlt werden muss.


Beispiele für Länder ohne Pflichtteil
  • Großbritannien (England & Wales): Keine Pflichtteilsregelung, sondern vollständige Testierfreiheit.
  • USA (je nach Bundesstaat): In vielen Staaten existiert nur ein Mindesterbteil für Ehegatten („elective share“), Kinder gehen leer aus.
  • Australien und Kanada: Keine Pflichtteile im deutschen Sinn, sondern nur Anspruch auf „reasonable provision“ – abhängig vom Einzelfall.
  • Schweiz: Pflichtteile vorhanden, aber geringer und leichter reduzierbar als in Deutschland.

Auch innerhalb der EU bestehen Ausnahmen: So kann in Spanien regional unterschiedliches Erbrecht gelten – z. B. in Katalonien oder auf den Balearen.


Voraussetzungen: Nicht nur eine Adresse, sondern ein echter Lebensmittelpunkt

Ein bloßer Zweitwohnsitz im Ausland genügt nicht. Es muss nachweisbar sein, dass der gewöhnliche Aufenthalt dauerhaft ins Ausland verlagert wurde.
Dazu zählen u. a.:

  • Abmeldung in Deutschland
  • Umzug mit familiärem Umfeld
  • Wohnsitz, Lebensmittelpunkt, soziale Bindung und wirtschaftliches Leben im Ausland
  • etc.

⚠️ Achtung: Wer zum Zwecke der Nachlassplanung „vorübergehend“ ins Ausland geht, riskiert, dass Gerichte dennoch deutsches Erbrecht anwenden – insbesondere, wenn objektiv erkennbar ist, dass der Wohnsitzwechsel rein taktisch war. Ein Wohnsitzwechsel kann helfen, Pflichtteilsrechte zu umgehen – aber nicht immer. Was es zu beachten gilt.


Steuerliche Risiken und Einschränkungen

Selbst wenn ein ausländisches Erbrecht zur Anwendung kommt, heißt das nicht automatisch, dass auch die deutsche Erbschaftsteuer entfällt.

  • Bei Wegzug aus Deutschland kann bis zu 10 Jahre lang eine sogenannte erweiterte beschränkte Steuerpflicht bestehen (§ 2 ErbStG i. V. m. § 4 AStG).
  • Auch im Ausland belegene Vermögenswerte können – je nach Lage – weiterhin der deutschen Besteuerung unterliegen.

Bewertung

Forum Shopping bietet theoretisch die Möglichkeit, das deutsche Pflichtteilsrecht zu umgehen – wenn der Umzug dauerhaft, glaubhaft und vollständig vollzogen wird. In der Praxis erfordert dies jedoch umfassende juristische und steuerliche Planung.

Für vermögende Privatpersonen mit internationaler Lebensführung oder Wohnsitz in Ländern ohne Pflichtteilsrecht kann diese Option interessant sein – sollte jedoch nicht allein aus Pflichtteilsgründen erfolgen, sondern als Teil einer umfassenden Nachlassstrategie betrachtet werden.

Strategie 6: Gestaltung über Nießbrauch, Wohnrecht und andere Wertminderungen

Der Pflichtteil berechnet sich nicht aus dem „gefühlten“ Wert des Nachlasses, sondern aus dem tatsächlichen Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls. Wer Vermögenswerte überträgt, kann deren Pflichtteilsrelevanz gezielt beeinflussen, indem der Wert rechtlich – nicht willkürlich – reduziert wird.

Eine gängige Methode dabei: Schenkung mit Nießbrauch oder Wohnrecht. Auch sogenannte auflagengebundene Übertragungen oder die Einbindung in Familiengesellschaften können den rechnerischen Pflichtteilswert verringern, ohne dass das Vermögen vollständig aus der Familie verschwindet.


Nießbrauch als strategisches Instrument

Ein Nießbrauchrecht (§ 1030 BGB) erlaubt es, ein übergebenes Objekt (z. B. ein Haus oder eine vermietete Wohnung) weiterhin wirtschaftlich zu nutzen – etwa durch Eigennutzung oder Mieteinnahmen –, obwohl es bereits rechtlich verschenkt wurde.

In der Praxis bedeutet das:

  • Die Immobilie wird formal an ein Kind oder an den Ehepartner übertragen
  • Der Schenker behält sich ein lebenslanges Nutzungsrecht vor
  • Der steuerliche und wirtschaftliche Wert der Immobilie sinkt erheblich – teils um mehr als 50 %

→ Für die Pflichtteilsberechnung zählt dann nicht der volle Verkehrswert, sondern nur der abgezinste Wert unter Berücksichtigung des Nießbrauchs


Pflichtteilsergänzungsanspruch: Fristbeginn verzögert sich

Wichtig ist allerdings:
Solange der Schenker sich ein Nießbrauchrecht oder ein umfassendes Wohnrecht vorbehält, gilt die Schenkung nicht als vollständig vollzogen – der Pflichtteilsergänzungsanspruch wird nicht abgeschmolzen, die 10-Jahresfrist beginnt nicht zu laufen.

Das kann Vor- oder Nachteil sein – je nachdem, ob man die Anrechnung bewusst verlängern oder vermeiden möchte. Wer eine echte Wertminderung und einen baldigen Fristbeginn erreichen will, sollte auf extensive Rechte verzichten oder sie frühzeitig aufheben.


Weitere Gestaltungsmöglichkeiten zur Wertreduzierung
  • Wohnrechte: Besonders bei Übertragungen innerhalb der Familie häufig genutzt.
  • Rückforderungsrechte (z. B. bei Vorversterben oder Scheidung): Können den objektiven Wert mindern, weil die Verfügung nicht endgültig ist.
  • Familiengesellschaften (z. B. GbR oder GmbH & Co. KG): Beteiligungen sind schwerer bewertbar und können durch Satzungsregelungen gegen Pflichtteilsansprüche geschützt werden.
  • Gestaltung durch Nutzungsauflagen oder Versorgungsverträge: Etwa bei Pflege durch Angehörige – mindert zwar nicht den Nominalwert, schafft aber Einbindung.

Bewertung

Gestaltungen mit Nießbrauch, Wohnrecht oder Nutzungsauflagen sind rechtlich zulässig und wirtschaftlich wirkungsvoll, um den Wert des pflichtteilsrelevanten Vermögens zu reduzieren. Sie ersetzen keinen Pflichtteilsverzicht, können aber den Pflichtteilsanspruch faktisch deutlich verringern – und das ohne vollständigen Kontrollverlust über das Vermögen.

Entscheidend ist dabei eine saubere vertragliche Umsetzung und eine realistische Bewertung, idealerweise mit Einbindung von Steuerberatung und Immobilienbewertung.

Grenzen und Risiken – Wann Pflichtteilsplanung scheitert

Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten rund um Pflichtteile sind vielseitig. Doch sie stoßen dort an ihre Grenzen, wo entweder das Gesetz klare Vorgaben macht – oder wo familiäre, organisatorische oder emotionale Spannungen unberücksichtigt bleiben.

Ein durchdachtes Pflichtteilskonzept braucht daher nicht nur juristisches Know-how, sondern auch Sensibilität für familiäre Dynamiken, praktische Umsetzung und Kommunikation. Fehlt eine dieser Komponenten, können selbst formal wirksame Regelungen im Ernstfall scheitern.


Gesetzliche Grenzen: Nicht alles ist ausschließbar

Der Pflichtteil ist ein gesetzlich geschützter Mindestanspruch. Er kann nicht beliebig „gestrichen“ oder umgangen werden.

  • Ein vollständiger Entzug (Pflichtteilsentziehung nach § 2333 BGB) ist nur möglich bei massiven Verfehlungen: etwa wenn der Pflichtteilsberechtigte dem Erblasser körperlich geschadet, ihn bedroht oder schwer beleidigt hat.
  • Selbst dann muss der Entzug ausdrücklich und konkret im Testament begründet werden – pauschale Aussagen wie „wegen Zerwürfnis“ genügen nicht.
  • Gerichte prüfen solche Entziehungen besonders streng – sie gelten als Ausnahme, nicht als Gestaltungsspielraum.

Wer auf diese Möglichkeit setzt, ohne einen der gesetzlichen Entziehungsgründe zu erfüllen, riskiert, dass die Maßnahme später vollständig unwirksam ist – und das ursprüngliche Pflichtteilsrecht wieder auflebt.


Kommunikationslücken: Wenn familiäre Erwartungen enttäuscht werden

Viele Pflichtteilskonflikte entstehen nicht durch das Testament selbst, sondern durch das, was vorher nicht ausgesprochen oder nicht verstanden wurde.

Beispiele:

  • Ein Pflichtteilsverzicht wurde vor Jahren unterschrieben, im Vertrauen auf eine spätere Beteiligung – die dann durch neue Partner, Eheverträge oder Testamentsänderungen ausgehebelt wird.
  • Ein Kind hat Eltern gepflegt, geht aber bei der Verteilung leer aus – das führt zu Unverständnis und oft zu juristischen Schritten.
  • Frühere Zuwendungen (z. B. für Ausbildung oder Hauskauf) wurden nicht dokumentiert – das kann zu gefühltem „Ungleichgewicht“ unter Geschwistern führen.

→ Die rechtliche Gültigkeit schützt nicht vor emotionalem Konflikt. Wird nicht offen kommuniziert, können selbst wohlmeinende Regelungen als ungerecht empfunden und angefochten werden.


Komplexe Konstruktionen: Wenn Gestaltung ihre Wirkung verliert

In der Praxis werden mitunter übermäßig komplexe Strukturen gewählt – oft gut gemeint, aber mit hohem Risiko für die Nachlassabwicklung. Dazu zählen:

▸ Verschachtelte Gesellschaften (z. B. Immobilien-GbR mit Nießbrauchsvorbehalt)
  • Warum problematisch: Der Wert solcher Beteiligungen ist schwer zu ermitteln. Das kann zu langwierigen Pflichtteilsklagen führen, in denen Gutachter eingesetzt und Bewertungen angefochten werden.
  • Folge: Erben stehen vor einem verwaltungsintensiven, teuren Verfahren – mit unklarem Ausgang.
▸ Rückforderungsrechte, Verknüpfungen, Auflagenkombinationen
  • Warum problematisch: Je mehr Bedingungen und Verflechtungen an eine Schenkung oder Übertragung geknüpft sind, desto größer ist die Unsicherheit, ob sie pflichtteilsmindernd oder -auslösend wirkt.
  • Folge: Finanzamt oder Pflichtteilsberechtigte interpretieren Verträge anders – Streit ist programmiert.
▸ Unklare Formulierungen in Testament oder Erbvertrag
  • Warum problematisch: Rechtlich relevante Begriffe (z. B. „Vermächtnis“, „Teilungsanordnung“) müssen sauber voneinander abgegrenzt sein.
  • Folge: Missverständnisse führen zu gerichtlicher Auslegung – und im Zweifel wird zu Gunsten der Pflichtteilsberechtigten entschieden.
Bewertung: Planung braucht Struktur, Kommunikation und Dokumentation

Pflichtteilsplanung funktioniert nur dann verlässlich, wenn:

  • gesetzliche Grenzen eingehalten,

  • familiäre Erwartungen abgestimmt,

  • und die Gestaltungen nachvollziehbar dokumentiert sind.

Konstruktionen, die zwar formal funktionieren, aber praktisch nicht umsetzbar oder psychologisch nicht vermittelbar sind, verlieren ihre Wirkung im Ernstfall – sei es durch Anfechtung, durch Misstrauen oder durch gerichtliche Aufhebung.

Fazit: Pflichtteil gestalten – mit Weitblick statt Überraschung

Das Pflichtteilsrecht ist kein Hindernis, sondern eine Grenze, mit der sich gestalten lässt – sofern sie bekannt und frühzeitig bedacht wird. Die Möglichkeiten zur Reduktion oder Umgehung des Pflichtteils sind vielfältig, reichen aber nicht so weit, wie viele annehmen.

  • Der Pflichtteilsverzicht ist wirksam, aber endgültig.
  • Schenkungen zu Lebzeiten können helfen – müssen aber Fristen und Nutzungsvorbehalte beachten.
  • Vermächtnisse, Auflagen und Teilungsanordnungen bieten Gestaltungsspielräume innerhalb der gesetzlichen Ordnung.
  • Strategien wie das Forum Shopping oder der Einsatz von Nießbrauchrechten sind machbar – aber komplex.
  • Und jede Maßnahme ist nur so stark wie ihre kommunikative und rechtliche Einbettung.

Wer den Pflichtteil umgehen möchte, braucht kein Misstrauen, sondern einen klaren Plan: transparent, dokumentiert, rechtssicher – und im besten Fall familienintern abgestimmt.

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