„Sell On Good News“ – Aktien verkaufen, wenn ein Unternehmen gute Quartalszahlen verkündet, die mitunter sogar über den Prognosen liegen. Das erscheint im ersten Blick kontraintuitiv, ist für viele Anleger aber eine bewusste Strategie. Das zeigt sich an oft sinkenden Aktienkursen nach der Veröffentlichung aktueller Geschäftszahlen. Wir haben zusammengefasst, wann der Verkauf bei guten Zahlen sinnvoll sein kann.
Auf einen Blick: Wann kann es sinnvoll sein, bei guten Zahlen zu verkaufen?
1. Es gibt einen allgemeinen Abwärtstrend: Befindet sich der Gesamtmarkt in einem Abwärtstrend, sind gute Nachrichten möglicherweise nur eine Pause auf dem Weg nach unten und es ist wahrscheinlicher, dass die Aktie erneut unter Verkaufsdruck gerät.
2. Sie wollen Gewinn mitnehmen: Wenn die Aktie in kurzer Zeit stark gestiegen ist, kann es sinnvoll sein, den Gewinn mitzunehmen und die Aktie zu verkaufen, bevor der Kurs wieder sinkt.
3. Die Aktie scheint überbewertet zu sein: Wenn eine Aktie bereits auf einem hohen Niveau gehandelt wird und eine gute Nachricht oder ein positives Ereignis den Aktienkurs weiter in die Höhe treibt, kann es sinnvoll sein, die Aktie zu verkaufen, bevor sie überbewertet wird.
4. Erwartungen des Marktes schaukeln sich hoch: Werden gute Zahlen erwartet und der Kurs steigt vor Bekanntgabe der Zahlen stark an, kann dies ein Alarmsignal sein. Selbst gute Zahlen können hinter den Erwartungen der Anleger zurückbleiben und zu einem Kurseinbruch führen. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, vor Bekanntgabe der Zahlen zu verkaufen.
5. Weitere Entwicklung des Unternehmens ist unsicher: Wenn die guten Zahlen überraschend kamen, kann es Unsicherheit darüber geben, wie das Unternehmen in Zukunft abschneiden wird. In diesem Fall können Anleger geneigt sein, ihre Position zu verkaufen und Gewinne mitzunehmen, bevor weitere Unsicherheiten aufkommen.
Der Verkauf bei guten Zahlen birgt aber auch ein großes Risiko: Wer sich auf kurzfristige Schwankungen konzentriert, verpasst womöglich langfristig erhebliche Gewinne. Entscheidend ist es, die Fundamentaldaten des Unternehmens im Kontext seines Branchenumfelds zu betrachten und eine langfristige Anlagestrategie zu verfolgen.
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Wann der Verkauf bei guten Zahlen sinnvoll sein kann
Natürlich kommt es auf den Einzelfall an. Grundsätzlich gibt es aber durchaus Szenarien, in denen es sich anbietet, bei der Veröffentlichung guter Zahlen zu verkaufen.
Verkauf bei kurzfristiger Erholung eines absteigenden Kurses
Ein Beispiel ist ein intakter Bärenmarkt, bei dem sich viele Aktien in einem anhaltenden Abwärtstrend befinden. Hier sind gute Nachrichten oft nur eine Pause auf dem weiteren Weg nach unten. Es ist wahrscheinlicher, dass der Kurs anschließend wieder unter Verkaufsdruck gerät, als dass gute Zahlen tatsächlich die dauerhafte Wende nach oben bringen. Der Vorteil von „Sell On Good News“ ist dabei, dass sich der Kurs im Vorfeld der guten Zahlen zumindest etwas vom Tief entfernt, sodass man nicht am ungünstigsten Punkt aussteigt.
Kursanstieg vor Quartalsbericht deutet auf (zu) hohe Erwartungen hin
Hat der Kurs vor Bekanntgabe über mehrere Tage oder wenige Wochen bereits stark zugelegt, sind die Erwartungen an die Zahlen entsprechend gestiegen. Der Markt dürfte deutlich mehr erwarten als nur „gute“ Zahlen. Selbst wenn diese auf dem Papier über den Prognosen liegen, können sie von Anlegern als Enttäuschung aufgenommen werden – ganz im Sinne von „Kaufe das Gerücht, verkaufe die Nachricht“. In diesem Fall ist ein Kursabstieg nach Bekanntgabe der Zahlen zu erwarten.
Studie: Von kurzfristiger Kursumkehr profitieren
Einen ähnlichen Effekt haben Forscher bei Unternehmensanleihen dokumentiert. Der Studie „Buy the Rumor, Sell the News: Liquidity Provision by Bond Funds Following Corporate News Events“ zufolge handeln Anleihefonds tendenziell gegen das Sentiment von Nachrichten: Sie verkaufen nach guten Zahlen und kaufen nach schlechten. Dabei ist interessant, dass Fonds, die das besonders häufig tun, von kurzfristigen Kursumkehrungen profitieren. Der Markt neigt auf dieser Zeitebene zu Mean Reversion (Gegenbewegungen), die durch Schwankungen bei Angebot und Nachfrage ausgelöst werden. Zudem stellen die Akteure, die entgegen der eigentlichen Marktstimmung handeln, Liquidität zur Verfügung – und für diesen „Service“ kann eine Prämie erzielt werden, bei Unternehmensanleihen ebenso wie bei Aktien.
Insider verkaufen oft bei guten Nachrichten
Eine andere Prämie findet sich auch auf längerem Zeithorizont, wie eine ältere Studie zeigte („Buy on Bad News, Sell on Good News: How Insider Trading Analysis Can Benefit from Textual Analysis of Corporate Disclosures“). Demnach gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Insider, die in den jeweiligen Unternehmen arbeiten, in Jahren mit eher schlechten (guten) Nachrichten systematisch kaufen (verkaufen).
Was gegen „Sell On Good News” spricht
Anleger können sich solche Spielereien sparen. Zwar klingt es nett, sagen zu können, dass man gute Nachrichten dazu genutzt hat, an einem Zwischenhoch zu verkaufen, bevor der Kurs wieder gefallen ist. Aber in der Praxis dürfte dieses Kunststück kaum immer wieder gelingen.
Erwartungen am Markt nur sehr schwer einzuschätzen
Zwar mag es den Sell-On-Good-News-Effekt hin und wieder geben. Aber das Ganze ist zu großen Teilen vom kurzfristigen Flow, also dem Verlauf von Ebbe und Flut bei Angebot und Nachfrage abhängig. Um diesen Flow annähernd einschätzen zu können, fehlen dem durchschnittlichen Privatanleger die Mittel. Man muss schon ein ausgefuchster Stratege sein und die Erwartungen am Markt genau kennen, um überhaupt einen Nutzen daraus ziehen zu können. Allein auf den Analysten-Konsens zu schauen ist keineswegs ausreichend. Denn oft gibt es vor den Quartalszahlen abweichende Flüster-Schätzungen, auf die es bei den Markterwartungen besonders ankommt. Und auch die investierte Zeit, sich im Einzelfall mit all diesen Dingen zu beschäftigen, wird Anlegern wohl kaum mit Mehrrenditen entlohnt.
Gute Zahlen können Beginn eines Erfolgskurses sein
Letztlich kommt es auf solche kurzfristigen Effekte ohnehin nicht an, wenn man wirklich langfristig investiert. Ganz im Gegenteil: Die Gefahr ist hoch, sich darin zu verzetteln und am Ende die wirklich großen Bewegungen zu verpassen, wenn sich herausstellt, dass die guten Zahlen nur der Anfang von späteren, noch viel besseren Zahlen und damit weitaus höheren Kursen waren.
Fazit: Kurzfristige Taktik birgt ein hohes Risiko
Man kann auch den Spieß umdrehen und von „Buy On Bad News“ sprechen – einem Kauf vor Bekanntgabe von Zahlen, die sehr niedrige Erwartungen und damit positives Überraschungspotenzial bedeuten. Doch hier könnte es auch sein, dass die Kurse und Erwartungen aus einem guten Grund so niedrig sind: weil sich das Unternehmen fundamental betrachtet auf dem absteigenden Ast befindet. Mit einem scheinbar cleveren Kauf aufgrund kurzfristiger Taktik könnten Anleger am Ende also auf einem sinkenden Schiff sitzen.
Das Fazit lautet, dass man nicht zu viel interpretieren sollte. Kommt es nach guten Zahlen zu einem Abverkauf, kann man diesen einfach in die fundamental angezeigte Richtung nutzen: Zum Kauf infolge guter Zahlen. Das klingt auch intuitiv schlüssig.